Linien auf dem Wasser zeichnen

Allgemein / Archiv

Eine Begegnung mit dem argentinischen Schriftsteller Patricio Pron. Dessen Eltern waren so gar nicht begeistert, als er sich hinsetzte und einen Roman über seine Kindheit während der Militärdiktatur schrieb

Nach unserem Gespräch bringt mich Patricio Pron nach unten zurück in die Lobby. Die Türen des Fahrstuhls haben sich auf die gewohnt sanfte Weise noch nicht ganz geschlossen, als er sich entschuldigt: Es sei heute keiner seiner guten Tage gewesen. Die Medikamente, die Drogen … er hebt bedauernd die Schultern: Mit den Folgen müsse er leben und an manchen Tagen sei er eben konzentrierter und an anderen nicht so sehr, es täte ihm leid, er hoffe, dass ich mit dem Gespräch trotzdem etwas anfangen könne. Währenddessen rauscht der Fahrstuhl nach unten, vom vierten Stock ins nahezu gläserne Erdgeschoss.

Es war der Titel seines Buches, der mich zu diesem greifen ließ: „Der Geist meiner Väter steigt im Regen auf“. Dabei habe ich keine Ahnung von argentinischer Literatur, ich weiß überhaupt sehr, sehr wenig von diesem Land. Nur dies und das, klischeehaftes, aus dem Fernsehen.

Weiterlesen

Der Rückblicker

Allgemein / Archiv

Als Stadtarchivar von Ratzeburg kümmert sich Christian Lopau um Jubiläen, Stolpersteine und Flüchtlingsschicksale

Bevor er den Kaffee in die Tassen gießt, muss Herr Lopau erstmal erzählen, was ihm gerade passiert ist. Also – da erreicht ihn aus Frankreich eine Nachricht, dass man dort auf die sterblichen Überreste eines deutschen Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg gestoßen sei: ein Soldat aus dem lauenburgischen Ratzeburg, wie dessen Kennmarke ergeben habe. Nun liegt dort ganz in der Nähe auf einem Friedhof bereits ein Soldat aus Ratzeburg beerdigt. Anfrage daher: Könnte es sein, dass die beiden vielleicht verwandt sind? Handelt es sich um Brüder? Wenn ja, dann könnte man den gefundenen Soldaten zu dem schon beerdigten Soldaten mit ins Grab legen.

Spekulieren geht nicht
Leider hat Christian Lopau, Stadtarchivar von Ratzeburg, in seinen Unterlagen keine entsprechenden Hinweise finden können: Zwar hatte jener beerdigte Soldat tatsächlich Brüder, mehrere sogar, wie dessen Familienstammdaten ergeben hätten. Aber wo welcher Bruder damals im Krieg war und ob überhaupt – das ließe sich beim besten Willen nicht sagen. „Und man muss ja genau sein“, sagt Herr Lopau. Spekulieren, das sei nicht sein Handwerkszeug.

Christian Lopau residiert in einem strahlend weißen Bau auf der Ratzeburger Insel, gleich neben dem Rathaus. „Demolierung“ heißt die Straße, was erstmal ulkig klingt, aber nichts anderes als den Abriss der dortigen Festung während der Franzosenzeit benennt.

Betritt man die Archivräume, wechselt man die Welt: Es riecht nach Bücherstaub, die Luft ist sehr trocken, man hört förmlich das vorsichtige Umblättern von brüchigem Papier schwerer Folianten und im selben Moment steht die Zeit still, damit man sie untersuchen kann. Und da sitzt er hinter seinem Bildschirm, durchaus überschaubare Stapel an Büchern, Broschüren und Unterlagen links und rechts neben sich.

Er kommt hier aus dem Kreis, sei hier verwurzelt. Aufgewachsen in einem Dorf bei Büchen, Schule in Mölln, dann in Ratzeburg, Abitur. Auch zum Studieren ging es nicht allzu weit weg – nach Hamburg; Literatur und Geschichte wurden es. Weiterlesen