Kunst, nordwärts unbekannt

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Das Schifffahrtsmuseum Flensburg und das Kunstmuseum Museumsberg präsentieren das erste Mal in Deutschland zeitgenössische Kunst von den Färöer.

Foto: Ingi Joensen

Kurz bevor auf den Färöer der Sommer beginnt, wird im Kunstmuseum der Hauptstadt Tórshavn ein Bild abgehängt. Es stammt von dem Maler Sámal Joensen-Mikines, gemalt wurde es 1960, es heißt „Grindadrap“ und zeigt in wuchtigen Farben und in expressionistischem Gestus zwei Männer, die am Strand einen Wal zerlegen. Grindwal, eine kleinere Walart, wird bis heute auf den achtzehn Inseln gejagt und auch gegessen. Entsprechend heftig wird das halbautonome Land, das außenpolitisch von Dänemark verwaltet wird, ob seines Walfangs immer wieder kritisiert. Sollten nun tierschutzgeprägte Touristen durch das Kunstmuseum schlendern und auf das Bild stoßen, befürchtet man heftige Diskussionen. Oder schlimmeres.
Diesen Sommer lagert das Bild nicht im Tórshavner Museumsdepot, sondern es hängt nach einer längeren Reise im Schifffahrtsmuseum von Flensburg. Denn zusammen mit dem Kunstmuseum auf dem Museumsberg zeigt man die nächsten Monate Kunst von den Nordinseln.
Es ist die erste Kooperation der nahebeieinander liegenden Flensburger Häuser, und es ist, was noch wichtiger ist, die erste Schau zeitgenössischer Kunst von dem Inselland zwischen Schottland und Island in der Bundesrepublik überhaupt. Darunter sind zunächst einige Arbeiten von eben Joensen-Mikines, mit dessen Schaffen in den 1930er-Jahren auf den Inseln die Bildende Kunst einzog, die es dort vorher nicht als eigenständiges Genre gab. Mehr aber noch präsentieren sich an beiden Orten junge und jüngere Künstler der Gegenwart in den Sparten Fotografie und Malerei, Skulptur und Installation.
Und das es so kam, kam recht verschlungen so: Als Museumsberg-Leiter Michael Fuhr noch am Leopold-Museum in Wien tätig war, griff er ein österreichisches Trauma auf – die Niederlage dessen Nationalmannschaft gegen die Färöer bei der Fußball-Europameisterschaft von 1990. Denn damals hatte ein Team aus Fischern, Bauern und einem Postboten die hochbezahlten Profis besiegt. Fuhr, interessiert und auch neugierig, richtete seinen Kunstblick gen Norden. Und er zeigte im Sommer 2008 aktuelle färingische Kunst, auch um das Bild einer angeblich rückständigen Fischergesellschaft sachte zu korrigieren.
Auf die damals geknüpften Kontakte konnte er nun aufbauen; zudem reiste er mit der Leiterin des Schifffahrtsmuseum Susanne Grigull im letzten Jahr über die Inseln, auch um festzustellen, dass sich in den vergangenen zehn Jahren einiges getan hat: Zwar muss der kunstinteressierte, junge Mensch immer noch die Inseln verlassen, will er sich in der Kunst in irgendeiner Form ausbilden lassen. Aber die Zahl derer, die aus Dänemark, Skandinavien, England oder den USA anschließend zurückkehren, nimmt beständig zu. Entsprechend hat sich neben dem bisherigen färingischen Kunstverein aus den 1940er-Jahren jüngst eine neue Künstlervereinigung gegründet: diesmal als Netzwerk, als Plattform, auch als Marketing-Pool. „Wir sind insgesamt 50.000 Bewohner, darunter sind 20 Bildende Künstler, die von ihrer Arbeit gut leben können, ich weiß nicht, ob diese Quote auch für Deutschland gilt“, sagt daher Astri Luihn, Musikwissenschaftlerin und Malerin. Sie hat jüngst eine Musikschule eröffnet – in der auch Bildende Kunst eine Rolle spielen wird. Von ihr gibt es neuere, sehr schöne wandgreifende Malerei zu sehen; Farbimplosionen, die von der Stärke weiter, weißer Flächen erzählen.

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Im Trippelschritt durch die Tristesse

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Die Kieler Stadtgalerie zeigt neue finnische Kunst. Dabei beeindrucken vor allem die dokumentarisch angelegten Fotoserien

Foto: Marja Helander

VON FRANK KEIL

Es beginnt beklemmend, und wer sich für aktuelle – um nicht zu sagen: junge – Kunst aus Finnland interessiert, den hat es in den vergangenen Jahren immer wieder in die Kieler Stadtgalerie verschlagen. Nun ist erneut eine Art Sammelausstellung zu sehen, die vom Titel her den Bogen zwischen poetischer Offenlegung und fast soziologischer Bestandsaufnahme zu spannen sucht: „An der Nordkante. Der Mensch in der finnischen Gegenwartskunst“.

Es ist eine Ausstellung, die sich langsam, aber sicher warmläuft. Wer anfangs vielleicht etwas unentschlossen und verhalten auf der Suche nach einem verbindenden Faden durch die Räume schlurft, wird erleben, wie er nach und nach von wachsender Begeisterung gepackt wird – so viel sei jedenfalls versprochen.

Den Anfang macht zunächst die etwas spröde Arbeit „pro and contra“ von Halinen Kaisaleena, die uns einen raumfüllenden, halbhohen Holzkasten mitten in den Weg gestellt hat. Darauf drapiert: Köpfe. Köpfe wie abgeschlagen, Köpfe aus Beton gegossen. Aber zugleich sind diese Betonköpfigen wie von wollenem Stoff überzogen. Man denkt an Ski- oder Motorradmasken, denkt schnell weiter an Sturmhauben, wie sie weltweit von Spezialkräften über das jeweilige Gesicht gezogen werden, mal im Guten, mal im Bösen, dient das Nicht-erkannt-werden-Wollen doch Schutzsuchen und Schrecken verbreiten gleichermaßen.

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Wer die Last trägt

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Einen schonungslosen Männerfilm hat Regisseur David Nawrath mit „Atlas“ produziert – und zeigt sich damit als Regie-Talent.

„Jeder lädt sich seine Last selbst auf“, sagt Walter. Und jeder müsse sie selbst tragen. „Und das hast du dir ganz allein ausgedacht?“, fragt Alfred. Dann nehmen sie beide einen Schluck Bier. Walter und Alfred sind keine Freunde, denn Männer wie Alfred und Walter haben keine Freunde. Sie sind Arbeitskollegen, und das ist schon viel in ihrem Leben. Die beiden arbeiten für eine Spedition: Walter als Möbelpacker, der weg trägt, was wegzutragen ist. Alfred ist beeidigter Gerichtsvollzieher und sorgt für die Wohnungen, die zwangsgeräumt werden sollen und die Walter und seine Kollegen so wortkarg wie mitleidlos ausräumen. Was geht es sie an, wenn da einer sein Heim verliert? Besonders Walter hat sich einen Panzer aus Ignoranz, Gefühllosigkeit und Phlegma zugelegt. Denn er möchte keinen Ärger. Er möchte sich in nichts einmischen. Er möchte am besten gar nichts spüren. Und so könnte ein Tag wie der andere vergehen. Doch dann geraten die Dinge ins Wanken. Zum einen stößt Moussa zu der Gruppe, Mitglied eines arabischen Clans, der mit seiner Unbeherrschtheit und Brutalität selbst die abgestumpften Möbelpacker erschreckt. Und dann entdeckt Walter in dem jungen Mann, der sich der Räumung seiner Wohnung diesmal erwehren kann, seinen Sohn Jan. Er hat ihn als Vierjährigen zum letzten Mal gesehen.

Walter weiß, dass Jan keine Chance hat. Die Wohnung, in der er mit Frau und Kind wohnt, ist die letzte bewohnte in einem lukrativen Altbauhaus, das nach der Räumung für das Fünffache seines Preises den Besitzer wechseln soll. Moussa sagt: „Ich kümmere mich darum.“ Und dass die anderen die Füße stillhalten sollen. „Atlas“ von David Nawrath ist ein direkter, schonungsloser und deshalb genauer Männerspielfilm; ein Film, der tief eintaucht in eine Welt, deren Bewohner ihre Gefühle weggesperrt haben; ein Film auch, der endlich einmal nicht im routiniert neurotischen Mittelschichtsmilieu angesiedelt ist. Und immer, wenn man beim Zuschauen und auch Mitbangen kurz denkt, nun werde das anbahnende Vater-Sohn-Drama sich doch klischeehaft bis trivial entwickeln, nimmt der Film elegant die Kurve und wartet mit einer unerwarteten Wendung auf. Auf dass man atemlos bis zum Schluss zuschaut, um zu erfahren: Kann ein Mensch aus seiner Haut schlüpfen? Und was wird der Preis dafür sein?

Rainer Bock, der seine Schauspielkarriere in den 1980er-Jahren am Schleswig-Holsteinischen Landestheater begann, den der Cineast aus „Das weiße Band“ und der Fernsehzuschauer aus Serien wie „Bella Block“ kennt, spielt die Figur des Walter zunächst beeindruckend stoisch. Das Haar struppig, dazu unrasiert, müde wie erschöpft, wird er sich jedoch entscheiden müssen, was nun geschehen soll: Hilft er Jan? Stellt er sich offen gegen seine Kollegen? Gibt er sich gar als Jans Vater zu erkennen? Oder trägt er wie der Titan Atlas aus der griechischen Mythologie stur das Geschehen auf seinen Schultern, unberührt davon, wie es den Menschen zu seinen Füßen ergeht? Mit seinem Langfilm-Debüt zeigt David Nawrath, dass hier ein neues Regie-Talent die Filmbühne betritt. Und Filme, die einen gekonnt durchrütteln, die erschüttern, aber nicht mit einer schnellen Lösung zu beruhigen versuchen, können wir alle gut gebrauchen.

„Atlas“: Deutschland 2018, 100 Minuten, ab 12 Jahren, jetzt in den Kinos.

Erschienen in der Evangelischen Zeitung vom 28.4.19