„Und dann geht man so vor sich hin“

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Eine Wanderung durch die Hamburger Marschlanden mit dem Geh-Experten Christian Sauer.

Gerade dieser Tage wichtig: Gehen, um den Kopf frei zu bekommen. Gehen, um sich nicht in der schlechten Laune zu verbeißen. Und nebenbei lernt man ein wenig das echte Leben kennen und schön ist die Landschaft drumherum auch noch – ein Lob des Gehens.

Ungefähr Halbzeit. Und wir machen eine Pause. Setzen uns ins Gras, auf eine Unterlage, die groß genug ist, dass wir mit genügend Abstand nebeneinandersitzen können. Blicken geradeaus, wo sich die Gose-Elbe schillernd schlängelt und im Hintergrund sich drei Windräder drehen. Der Himmel schaut geradezu spielfilmmäßig-dramatisch aus, dunkle Wolken türmen sich auf und verdecken die Sonne. Vielleicht fängt es gleich an zu regnen, zu schütten, auch Hagelkörner sind vor nicht einmal zwei Stunden gegen meine Fensterscheibe geprasselt und ich dachte: ‚Das kann ja heiter werden.‘ Zur anderen Richtung, hinter uns, hinter den Bäumen, hat man einen Blick auf die ferne Stadt, wie sie in einem leichten Dunst liegt, auf den Fernsehturm, auf einzelne Kirchtürme, auf Hamburg.


Ich bin mit Christian Sauer unterwegs, ein Journalistenkollege, Coach und heute vor allem Autor des Buches „Draußen gehen – Inspiration und Gelassenheit im Dialog mit der Natur“, das in meinem Rucksack liegt. Es enthält eine Art Anleitung zum Gehen. Auch: eine Philosophie des Gehens. Also: einfach gehen. Gehen, um zu gehen. Gehen, um den Kopf frei zu kriegen. Gehen, um zu gelingen. Oder wie es der Sizilien-Wanderer  Johann Gottfried Seume gesagt hat, den Sauer zitiert: „Ich bin der Meinung, dass alles besser gehen würde, wenn man mehr ging.“Und natürlich hätten wir darüber auch telefonieren oder skypen können, aber muss man nicht Gehen gehend erleben? Und zu zweit gehen ist ja erlaubt.

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„Ich hatte Lust eine Liebesgeschichte zu erzählen“

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Das Corona-Virus war im Anmarsch, kurz zuvor habe ich den Schauspieler, Autor und Vollzugshelfer Steffen Schroeder im Hamburger Schauspielhaus getroffen. Ein Gespräch über Freibadsommer in den 1980er Jahren, das deutsche Gefängnissystem und Mitgefühl.

Ein Geständnis vorab: Ich bin Fan. Fan von Tom Kowalski. Also Fan von Steffen Schroeder, der den Tom Kowalski spielt, den Kriminalkommissar Kowalski in der Serie „SOKO Leipzig“, der einzigen SOKO-Serie des ZDF, die es dauerhaft ins Abendprogramm geschafft hat. Tom Kowalski ist in dem vierköpfigen Team der Typ: Die Freiheit geht mir über alles! Entsprechend hat er keine feste Wohnung, wohnt lieber im Wohnwagen oder im ausgebauten Bus, fährt zudem sehr rasant Rennrad, ist oft pleite, trinkt gern, und einen Freund würde er nie hängen lassen. Nur sich an Vorschriften halten, was man ja als Polizist besonders beherzigen sollte, korrekt und genau sein, das ist überhaupt nicht seine Sache. Also: Verschwindet Kowals­ki mit dem Verdächtigen im Verhörraum und lässt die Jalousien herunterrasseln, dann hält man als Zuschauer*in die Luft an und hofft, dass er sich wenigstens diesmal einigermaßen im Griff hat.

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Kunst, nordwärts unbekannt

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Das Schifffahrtsmuseum Flensburg und das Kunstmuseum Museumsberg präsentieren das erste Mal in Deutschland zeitgenössische Kunst von den Färöer.

Foto: Ingi Joensen

Kurz bevor auf den Färöer der Sommer beginnt, wird im Kunstmuseum der Hauptstadt Tórshavn ein Bild abgehängt. Es stammt von dem Maler Sámal Joensen-Mikines, gemalt wurde es 1960, es heißt „Grindadrap“ und zeigt in wuchtigen Farben und in expressionistischem Gestus zwei Männer, die am Strand einen Wal zerlegen. Grindwal, eine kleinere Walart, wird bis heute auf den achtzehn Inseln gejagt und auch gegessen. Entsprechend heftig wird das halbautonome Land, das außenpolitisch von Dänemark verwaltet wird, ob seines Walfangs immer wieder kritisiert. Sollten nun tierschutzgeprägte Touristen durch das Kunstmuseum schlendern und auf das Bild stoßen, befürchtet man heftige Diskussionen. Oder schlimmeres.
Diesen Sommer lagert das Bild nicht im Tórshavner Museumsdepot, sondern es hängt nach einer längeren Reise im Schifffahrtsmuseum von Flensburg. Denn zusammen mit dem Kunstmuseum auf dem Museumsberg zeigt man die nächsten Monate Kunst von den Nordinseln.
Es ist die erste Kooperation der nahebeieinander liegenden Flensburger Häuser, und es ist, was noch wichtiger ist, die erste Schau zeitgenössischer Kunst von dem Inselland zwischen Schottland und Island in der Bundesrepublik überhaupt. Darunter sind zunächst einige Arbeiten von eben Joensen-Mikines, mit dessen Schaffen in den 1930er-Jahren auf den Inseln die Bildende Kunst einzog, die es dort vorher nicht als eigenständiges Genre gab. Mehr aber noch präsentieren sich an beiden Orten junge und jüngere Künstler der Gegenwart in den Sparten Fotografie und Malerei, Skulptur und Installation.
Und das es so kam, kam recht verschlungen so: Als Museumsberg-Leiter Michael Fuhr noch am Leopold-Museum in Wien tätig war, griff er ein österreichisches Trauma auf – die Niederlage dessen Nationalmannschaft gegen die Färöer bei der Fußball-Europameisterschaft von 1990. Denn damals hatte ein Team aus Fischern, Bauern und einem Postboten die hochbezahlten Profis besiegt. Fuhr, interessiert und auch neugierig, richtete seinen Kunstblick gen Norden. Und er zeigte im Sommer 2008 aktuelle färingische Kunst, auch um das Bild einer angeblich rückständigen Fischergesellschaft sachte zu korrigieren.
Auf die damals geknüpften Kontakte konnte er nun aufbauen; zudem reiste er mit der Leiterin des Schifffahrtsmuseum Susanne Grigull im letzten Jahr über die Inseln, auch um festzustellen, dass sich in den vergangenen zehn Jahren einiges getan hat: Zwar muss der kunstinteressierte, junge Mensch immer noch die Inseln verlassen, will er sich in der Kunst in irgendeiner Form ausbilden lassen. Aber die Zahl derer, die aus Dänemark, Skandinavien, England oder den USA anschließend zurückkehren, nimmt beständig zu. Entsprechend hat sich neben dem bisherigen färingischen Kunstverein aus den 1940er-Jahren jüngst eine neue Künstlervereinigung gegründet: diesmal als Netzwerk, als Plattform, auch als Marketing-Pool. „Wir sind insgesamt 50.000 Bewohner, darunter sind 20 Bildende Künstler, die von ihrer Arbeit gut leben können, ich weiß nicht, ob diese Quote auch für Deutschland gilt“, sagt daher Astri Luihn, Musikwissenschaftlerin und Malerin. Sie hat jüngst eine Musikschule eröffnet – in der auch Bildende Kunst eine Rolle spielen wird. Von ihr gibt es neuere, sehr schöne wandgreifende Malerei zu sehen; Farbimplosionen, die von der Stärke weiter, weißer Flächen erzählen.

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